Hin und wieder mussten Rindviecher wegen Unfall oder aus anderen Gründen notgeschlachtet werden. Mit dem plötzlichen Mengenanfall von beispielsweise 300 bis 350 Kilogramm Fleisch einer notgeschlachteten Kuh waren aber viele Bauernhaushalte überfordert. Und zum Konservieren fehlten damals (vor allem ausserhalb der Winterszeit) noch die Möglichkeiten zum Kühlen, Einfrieren, Lufttrocknen, Wursten oder Sterilisieren.
So war es gang und gäbe, dass das Fleisch in der Nachbarschaft oder an Verwandte verkauft wurde. Für dieses „Fleischantragen“ gingen Bauer oder Bäuerin von Haus zu Haus, um Bestellungen entgegenzunehmen. Nach dem Portionieren wurde das Bestellte (oft in Zeitungspapier eingewickelt) schon tags darauf überbracht oder, ebenfalls gegen Barzahlung, abgeholt. Da jeder Schlachtkörper nicht nur Edelstücke hergibt sondern auch „minderes Fleisch“, war zuweilen nicht jeder Käufer von ‘angetragenem’ Fleisch mit der erhaltenen Qualität zufrieden. Mitunter kam es zu einer „Revanche“, wenn das Fleischantragen einmal gegenteilig wurde.
So oder so: das praktizierte Fleischauswägen nach einer Notschlachtung war situationsbedingt eine beispielhafte solidarische Aktion innerhalb der Nachbar- und Dorfschaft.